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Natürlich gibt es mehrere Ex-Freundinnen. Alle sind viel schöner als ich und haben solche netten Berufe wie Grundschullehrerin oder Parfum-Verkäuferin. Die meisten kenne ich nur von Photos und wenn das so bleibt, soll auch künftig meiner Sympathie für sie nichts im Wege stehen. Einer allerdings bin ich neulich begegnet. Der aktuellen Ex. Sie ist Schauspielerin, hat eine Tänzerinnenfigur und lange, natur-rote Locken. Er versteht sich immer noch gut mit ihr, schaut sich immer ihre neuen Stücke im Theater an, geht manchmal mit ihr essen oder verbringt einfach so Abende mit ihr. Weil er nicht mehr in ihrer Stadt wohnt, bleibt er dann auch über Nacht, und bislang hatte ich deswegen auch keine Bedenken, denn es ist ja vorbei! Und nichts ist langweiliger - das weiß schließlich jeder - als jemand, mit dem man mehrere Jahre zusammen war. Davon war ich überzeugt. Bis ich ihr neulich begegnet bin.

 
   
  Es geschah vor zwei Wochen. Wir waren auf eine Hochzeit eingeladen und brauchten für den Tag nach dem Fest ein Auto. Weil die Hochzeit bei ihr in der Nähe stattfand, kam er auf die grandiose Idee, ihr Auto auszuleihen. Scheinbar sind Ex-Freundinnen jederzeit zu derlei Großzügigkeiten bereit. Auf jeden Fall sagte sie ihm am Telefon, dass es kein Problem wäre. Wir sollten nur vorbeikommen, um Schlüssel und Papiere zu holen. "Sie wohnt in einer WG", erklärte er mir auf dem Weg. Wir gingen eine lange Häuserzeile entlang, als er plötzlich innehielt und sagte: "Halt, hier war's doch schon. Wir müssen zurück." Zuerst frohlockte ich, dass er ja dann wohl doch nicht mehr so vertraut mit ihr sein kann, wenn er an ihrem Hauseingang vorbeiläuft. Dann jedoch kam mir der Gedanke, dass es sich um einen Trick handeln könnte, dass er mich genau in ersterem Glauben wiegen und nicht zuzugeben will, dass er diesen Hauseingang jederzeit mit verbundenen Augen finden würde. Mit diesem Verdacht im Sinn folgte ich ihm die Treppe hinauf - sie wohnte natürlich ganz oben, so dass ich völlig außer Atem war, als er den Klingelknopf betätigte.  
   
  Nichts rührte sich. Er klingelte noch einmal, aber sie schien nicht zu Hause zu sein. "Aber ich denke, die weiß, dass wir kommen", sagte ich. Langsam stieg ein ungenehmes Gefühl für die zu Besuchende in mir auf. Er blieb gelassen und klingelte noch einmal. Insgeheim wusste ich natürlich, dass sie sehr wohl zu Hause war und sich mit Absicht taub stellte, um meine Geduld auf die Probe zu stellen und sich wichtig zu machen. "Dann ruf sie doch an und hinterlass ihr eine Nachricht", schlug ich vor und bemühte mich, meinen Tonfall nicht allzu genervt klingen zu lassen. Er zog sein Handy aus der Tasche, tippte ohne eine einzige Sekunde Bedenkzeit die Nummer ein und siehe da: Nachdem das Telefon einige Male geklingelt hatte, hörte man, wie sich in der Wohnung eine Tür öffnete, Musik erklang und eine singende Frauenstimme den Flur erfüllte. Er hatte mir ja erzählt, dass sie singen kann. Bei Schauspielern ist das auch nicht wirklich etwas Bemerkenswertes! Aber so direkt vor der Nase (oder besser: am Ohr) versetzte mir das schon einen kleinen Stich. Wenn ich anfinge zu singen, würde ich von ihm nur böse Blicke und Unverständnis ernten. Als Revanche beschloss ich, dass sie keine gute Schauspielerin sein könne, spielte sie doch, nachdem sie uns endlich die Tür geöffnet hatte, die "Ich-hab-Euch-gar-nicht-klingeln-hören"-Rolle nicht sonderlich überzeugend. Sie trug ein buntes, tief ausgeschnittes Sommerkleid, das an der Taille sehr eng geschnitten war und dann nach unten weit auseinander lief. Wenigstens ging es bis übers Knie. Er küßte sie zur Begrüßung auf die Wange. Ich gab ihr die Hand. Sie sagte: "Du bist..." Ich brachte darauf mein Genau-die-bin-ich-Nicken und folgte dem Ex-Paar in die Küche, wo ich auf dem Sofa platziert wurde. Durch diesen Umstand war ich plötzlich bis zum Halsansatz hinter einem riesigen Esstisch verschwunden, beschloss jedoch, es locker zu nehmen und trotzdem ein wenig an der Konversation teilzunehmen.  
   
  Geredet wurde über die Hochzeit, auf der wir am Abend zuvor waren. Und als wir ein wenig erzählt hatten, fragte sie keck: "Und? Wann wollt ihr heiraten?", um gleich darauf in wieherndes Gelächter auszubrechen, dem ich mich mit einem Zick-Zack-Mund-Lächeln anzuschließen versuchte. Aber ich hatte keine Chance. Sie schlug den Ton an und scheute sich auch nicht, mir Fragen zu unserer Familienplanung zu stellen. Ich versuchte, es ironisch zu nehmen, aber alles, was ich zurückgab, hörte sich wie ein braves mir zur Rechtfertigung gereichendes Statement an. Also klinkte ich mich aus der Unterhaltung aus, griff nach dem Orangensaftglas, das man mir angeboten hatte, und schaute mir die Einrichtung an. Für eine Küche war es sehr gemütlich. Es gab das Sofa mit den ausgesessenen Polstern und vermutlich defekten Federn, auf dem ich ja saß und den bereits erwähnten Esstisch, über den ich die ganze Zeit versuchte hinwegzuschauen. Ansonsten handelte es sich um eine sogenannte "offene Küche", natürlich mit Herd und Kühlschrank und so weiter. Alles war einigermaßen aufgeräumt und nicht weiter bemerkenswert. Oder ich konnte aus meiner Position das Bemerkenswerte nicht erkennen. Als ich mein Glas auf den Tisch zurückgestellt hatte und mich wieder ins Geschehen einbringen wollte, wähnte ich mich zunächst in einer Halluzination, in der mein Noch-nicht-Ex an der Stirnseite des Tisches seiner Ex zugewandt saß. Sie, auf der anderen Seite des Tisches, hatte die Füße weit auseinander auf den Boden gestellt und spreizte beim Reden immer wieder verspielt die Beine. Dabei wedelte locker der Stoff vor ihrem Schritt herum.  
   
  Den linken Ellbogen auf den Tisch gestützt, erzählte sie wild mit dem rechten Arm gestikulierend von ihrem neuen Stück. Ich konnte sehen, dass ihr Kleid unter der Achsel an der Naht ein Stück aufgerissen war. Und ich konnte meinen Liebsten sehen, wie er plötzlich irritiert das Stück Haut fixierte, das unverhofft aus dem Blumenstoff hervorlugte. Von dort wanderte sein Blick, und meiner folgte dem seinen, auf ihr Decolleté, das sich aus unerfindlichen Gründen stark gelockert und geweitet hatte. Ein Skandal! Es war keine Halluzination. Das hatte sie bestimmt auf der Schauspielschule gelernt, wie man so arg beim Erzählen mit den Armen rudert, dass ihr irgendwann Fetzen für Fetzen die Kleider vom Leib fallen und der Gegenüber freien Blick auf alles erhält, was sie gerade gern vorzeigen möchte. Ihr BH war hellblau, aus diesem ganz dünnen Stoff, den man eigentlich als Fliegengitter im Sommer vors offene Fenster spannt. Und das konnte ich alles sehen, obwohl mein Blick ja von weit her hinter dem Esstisch kam. Was sich seinem Auge bot, so wie er da quasi in der Spannweite der Verlängerung ihrer Schenkel gefangen war, wollte ich lieber gar nicht wissen, sondern tröstete mich damit, dass er das ja sowieso alles kannte und deshalb daran gar nicht mehr interessiert war. Ärgerlich war nur, dass er sich offensichtlich meiner Gegenwart gar nicht mehr bewusst war. Um meine Präsenz in Erinnerung zu rufen, aber auch aufgrund einer plötzlichen nervösen Indisponiertheit stand ich kurzentschlossen auf und fragte - vermutlich etwas zu laut --: "Wo's'n dit Klo?" Sie blickte mich ob meiner plötzlichen Wortmeldung verblüfft an, fing sich aber wieder und wies mir den Weg zum Örtchen, wohin ich entschwand und sofort von innen die Tür verschloss. Nervös saß ich nun auf dem Klo und kaute an meinen Fingernägeln. Ich war zu aufgeregt, um einen Racheplan zu schmieden. Auch fehlte mir die Zeit zum Überlegen, da es mir nicht geraten schien, die beiden länger als zwei Minuten allein zu lassen.  
   
  Bevor ich zurück in die Küche ging, warf ich einen kurzen, aber intensiven Blick in ihr Zimmer. Es gab gar keine Couch darin, und fragte mich, wo er wohl schlief, wenn er hier übernachtete. Am liebsten wäre ich gleich wieder aufs Klo gegangen, zwang mich jedoch in die Küche zurück, wo mein Erscheinen mit plötzlichem Schweigen aufgenommen wurde. Mein - ich wusste schon nicht mehr, wie ich ihn nennen sollte - schien sich glücklicherweise auf das Verhältnis, in dem wir zueinander standen, zu besinnen und brachte den Besuch kurzerhand zum Abschluss. "Na gut, vielleicht gehen wir dann mal los", klangen mir seine Worte befreiend in den Ohren. Der Gedanke an Hier-raus und die Aussicht darauf, dass er mit mir kommen würde, gaben mir begehbaren Boden unter den Füssen zurück. Die Verabschiedung ging schnell über die Bühne. Auf der Treppe griff ich nach seiner Hand und ließ sie nicht mehr los, bis wir aus dem Haus traten. Dort küsste er mich sogar, und ich beschloss, meine Eindrücke für mich zu behalten und alles zu vergessen. Ich wäre dem Vorsatz auch treu geblieben, hätte er mich nicht gestern, als wir aus irgendeinem dummen Grund mal wieder über seine Ex redeten, gefragt, ob mir neulich, als wir bei ihr das Auto abgeholt hatten, nicht aufgefallen wäre, dass sie nicht so wahnsinnig intelligent sei, keine Intellektuelle eben. Misstrauisch forschte ich nach einem Hinterhalt in seinem Blick, sagte dann kurz nein und wechselte schnell das Thema.  
 

Und jetzt geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht hat er Recht. Vielleicht war ihr ganzes Gehabe, über das er übrigens kein Wort verloren hatte, gar nicht gewollt und absichtlich strategisch gegen mich gerichtet, sondern entsprang einfach ihrer Naivität. Aber wenn das der Unterschied ist zwischen intelligenten und dummen Frauen, dann will ich, dass auf der Stelle mein IQ schrumpft, dann würde ich ohne weiteres mein Wissen über Existenzialismus und Postmoderne eintauschen gegen die Kunst, lockend mit den Schenkeln zu wedeln und ohne Zuhilfenahme der Hände meinen Busen zu entblößen. Aber vielleicht hat man auch erst als Ex-Freundin all diese Fähigkeiten. Und dann möchte ich vielleicht doch nicht so schnell tauschen.

 
 

 
  geschichte: anett  
  bildchen: lond